Ius alienis rebus utendi fruendi salva rerum substantia. Was sich zunächst einmal wie ein sehr komplizierter Zauberspruch anhört, beschreibt das Rechtsinstitut des Fruchtgenusses (oder auch Nießbrauchs) so kurz und prägnant wie es nur geht: Das Recht, aus der Sache des anderen Früchte zu ziehen, mit der Pflicht, die Sache selbst zu bewahren. In anderen Worten bedeutet dies, dass der Fruchtnießer die Sache wie ein Eigentümer gebrauchen kann.
Worin unterscheidet sich nun Fruchtgenuss vom Eigentum?
Der Fruchtnießer kann die wirtschaftliche Zweckwidmung einer Sache nicht ändern. So z.B. kann er aus einer Wohnimmobilie nicht eine Gewerbeimmobilie machen, während er diese bspw. sehr wohl – der Zweckwidmung entsprechend – vermieten kann.
Die Sache, die Gegenstand des Fruchtgenusses wird, darf nicht vertretbar (also nicht beliebig austauschbar wie z.B. Geld) sein und nicht verbrauchbar (wie z.B. Benzin). Meist handelt es sich um Immobilien.
Der Fruchtgenuss ist zwangsweise zeitlich beschränkt und kann nicht im Erbwege übergehen. Er erlischt entweder wie vertraglich vorgesehen oder mit dem Tod des Fruchtnießers.
Wie wird der Fruchtgenuss bestellt?
- Gesetzlich: die Eltern sind gesetzliche Fruchtnießer der Sachen des minderjährigen Kindes.
- Vertraglich: diese Verträge müssen schriftlich sein, bei sonstiger Nichtigkeit, und bedürfen der grundbücherlichen Eintragung (in den Regionen, wo das Grundbuch gilt – darunter Trentino-Südtirol – hat diese Eintragung rechtsbegründende Wirkung was heißt, dass das Recht ohne die Eintragung nicht besteht).
- Testamentarisch: durch ein Vermächtnis kann der Fruchtgenuss an bestimmten Sachen bestellt werden, stets innerhalb der obigen Grenzen.
- Durch Ersitzung: das Fruchtgenussrecht kann auch durch zwanzigjährige ungestörte Ausübung des Rechts und dem Ersitzungswillen (animus possidendi uti dominus) begründet werden – es bedarf hier aber eines gerichtlichen Feststellungsurteils.
Es ist möglich dasselbe Fruchtgenussrecht mehreren Personen gleichzeitig zu überlassen und eine Person kann Inhaberin mehrerer verschiedener Fruchtgenussrecht gleichzeitig sein.
Der Fruchtgenuss ist ein dingliches Recht und hängt somit an der Sache. D.h. auch bei einem Eigentümerwechsel bleibt das dingliche Recht in der Sache verwurzelt. Die Bestellung kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen.
Rechte des Fruchtnießers:
- Die Sache wie ein Eigentümer genießen;
- Die natürlichen Früchte (z.B. die Ernte eines Apfelbaums) und die Zivilfrüchte (z.B. den Mietzins einer Wohnung) ernten;
- Über das Fruchtgenussrecht verfügen und dieses veräußern – aber stets innerhalb der obigen Grenzen und dem zeitlichen Limit, welches max. die Lebensdauer des ursprünglichen Fruchtnießers umfasst;
- Das Fruchtgenussrecht hypothekarisch belasten;
Pflichten des Fruchtnießers:
- Die Zweckwidmung beachten und beibehalten;
- Die Sache nach Ablauf zurückgeben;
- Bei Entgegennahme der Sachen eine Inventarliste erstellen und evtl. Kaution bezahlen;
- Ordentliche Instandhaltungskosten, Steuern und Gebühren, die für die Sachen anfallen entrichten (z.B. Gemeindeimmobiliensteuer IMU, Grundrenten, Müllabgaben, Steuern auf die Mieteinnahmen etc.);
- Evtl. Besitzstörungen oder Einmischungen von Dritten sofort dem rechtmäßigen Eigentümer mitteilen und die Kosten des Rechtsstreits im Verhältnis des eigenen Rechtsinteresses mittragen
Außerordentliche Instandhaltungskosten, Steuern und Gebühren muss der nackte Eigentümer tragen.
Wie endet der Fruchtgenuss?
Durch Erlöschen des Fruchtgenusses wird der nackte Eigentümer oder dessen Rechtsnachfolger auch endlich in der Substanz Eigentümer und zwar:
- Mit Ablauf der vertraglich oder testamentarisch vorgesehen Frist;
- Mit dem Tod des Fruchtnießers oder Ablauf von 30 Jahren (sofern dieser eine juristische Person ist);
- Mit Verzicht des Fruchtnießers durch einen notariellen Verzichtsakt, der in der Substanz einer Schenkung gleichkommt;
- Mit rechtsbegründendem Urteil infolge der Feststellung des groben Missbrauchs des Rechts bzw. Verletzung der Pflichten (z.B. grobste Vernachlässigung periodischer Instandhaltung der Wohnung, was deren Wert drastisch senkt);
- Mit Untergang der Sache (z.B. Einsturz des Hauses durch Erdbeben);
- Mit Verjährung des Rechts aufgrund 20-jähriger Nichtnutzung;
- Mit Übergang des Fruchtgenusses auf den nackten Eigentümer aus welchem Titel auch immer (Konsolidierung).
In der Praxis findet Fruchtgenuss häufig dann Anwendung, wenn eine Person sich der Sache zwar nicht entledigen will und diese den Erben zur Verfügung halten will, aber gleichzeitig einer anderen Person die beinahe gesamtumfängliche wirtschaftliche Nutzung überlassen will. Auch kann das nackte Eigentum veräußert werden während der Fruchtgenuss sich selbst vorbehalten wird, um bspw. sofort liquide Mittel zu erhalten aber dennoch auf Lebzeit eine „Eigentumswohnung“.
Der Wert des Fruchtgenussrechts bemisst sich mit der Laufzeit desselbigen. Je älter der Fruchtnießer, desto größer der Wert des nackten Eigentums und umgekehrt.